Berufsausbildungsverhältnisse sind vom Ausbilder nur während der maximal viermonatigen Probezeit (jederzeit) kündbar, danach bedarf eine Kündigung eines sogenannten wichtigen Grundes. Zweifel an der Befähigung des Auszubildenden gehen also zu Lasten des Ausbilders. Das BAG hat in einer Entscheidung aus dem Jahr 2015 eine Möglichkeit zur intensiveren Erprobung, die bis dahin streitig war, eröffnet: Das vorgeschaltete Praktikum.
BAG, Urteil v. 19. November 2015 – 6 AZR 844/14
1. Problem und bisherige Rechtslage
Berufsausbildungsverhältnisse beginnen gem. § 20 BBiG mit der Probezeit, die mindestens einen Monat muss und höchstens vier (früher drei) Monate betragen darf. Während dieser Zeit ist das Ausbildungsverhältnis gem. § 22 Abs. 1 BBiG jederzeit ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündbar. Nach der Probezeit kann das Ausbildungsverhältnis von Seiten des Ausbilders gem. § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden. Für eine solche Kündigung aus wichtigem Grund liegt die Messlatte aber hoch: Arbeitsgerichte und Literatur sind sich einig, dass an die Anforderungen an die Kündigungsgründe wegen der noch nicht abgeschlossenen Entwicklung der geistigen, charakterlichen und körperlichen Fähigkeiten des Auszubildenden strengere Maßstäbe als an die Kündigung eines erwachsenen Arbeitnehmers zu stellen sind. Außerdem gewinnt das Interesse des Auszubildenden an der Aufrechterhaltung des Ausbildungsverhältnisses mit fortschreitender Dauer der Ausbildung immer mehr an Gewicht (statt vieler z.B. LAG Köln, Urteil v. 8.1.2003 – 7 Sa 852/02 m.w.N.). Ob eine Probezeit von vier Monaten den oft komplexen Anforderungen an die Fähigkeiten des Auszubildenden in modernen Ausbildungsberufen aber in allen Fällen gerecht wird, darf bezweifelt werden. Abgesehen von wenigen tariflichen Ausnahmeregelungen in vom Anwendungsbereich des BBiG gem. § 3 Abs. 2 BBiG ausgenommenen Bereichen (so z.B. im öffentlichen Dienst gem. § 3 Abs. 1 Ausbildungstarifvertrag TVöD-Pflege: 6 Monate), die eine längere Probezeit zulassen, muss der Ausbilder daher spätestens kurz vor dem Ablauf von vier Monaten entscheiden, ob nach seinem Eindruck der Auszubildende das Ausbildungsverhältnis erfolgreich absolvieren kann oder will.
Das Bedürfnis nach erweiterten „Erprobungsmöglichkeiten“ stellt sich deshalb insbesondere in einarbeitungsintensiven oder solchen Ausbildungsberufen, die besondere Fähigkeiten erfordern (z.B. die Ausbildung zum Fluglotsen mit ihren Anforderungen an Merk- und Konzentrationsfähigkeit und die Stressresistenz) oder für überdurchschnittlich verantwortungsvolle Tätigkeiten qualifizieren sollen. Die Möglichkeiten für den Ausbilder sind allerdings beschränkt: Eine – auch einvernehmliche – Verlängerung der Probezeit über die Höchstdauer von vier Monaten hinaus ist gem. § 25 BBiG nichtig. Nur im Falle einer Unterbrechung der Ausbildung z.B. wegen einer längeren Erkrankung ist die Vereinbarung einer Verlängerung um den der Fehlzeit entsprechenden Zeitraum zulässig. Dies gilt aber nur, wenn die Unterbrechung mindestens ein Drittel der Probezeit ausgemacht hat und sie nicht von dem Ausbilder selbst vertragswidrig herbeigeführt wurde (BAG, Urteil v. 15.1.1981 – 2 AZR 943/78).
Zulässig war auch bislang schon eine Probezeit im Rahmen eines an ein Arbeitsverhältnis anschließendes Ausbildungsverhältnis, da die in dem vorangegangenen Arbeitsverhältnis zurückgelegte Zeit nicht auf die Probezeit anzurechnen ist (BAG, Urteil v. 16.12.2004 – 6 AZR 127/04). Der dortige Kläger war zunächst als Hilfskraft im Verkauf beschäftigt und begann dann bei der Beklagten ein Ausbildungsverhältnis zum Kaufmann im Einzelhandel, das nach zwei Monaten während der Probezeit gekündigt wurde. Das BAG argumentierte, dass sich die Pflichten aus einem Arbeitsverhältnis einerseits und einem Berufsausbildungsverhältnis andererseits grundlegend unterschieden.
2. Die Entscheidung des BAG
Unklar war aber bisher, ob eine Vorbeschäftigung als Praktikant unmittelbar vor Beginn der Ausbildungszeit anzurechnen ist, wenn der Zweck des Kennenlernens mit der Probezeit identisch ist (Ja: LAG Berlin, Urteil v. 12.10.1998 – 2 Ca 52092/97; ArbG Wiesbaden, Urteil v. 17.1.1996 – 6 Ca 3242/95; Nein: ArbG Duisburg, Urteil v. 19.2.2009 – 1 Ca 3082/08). Dies hat das BAG jetzt anhand eines Falles ebenfalls aus dem Bereich des Einzelhandels klar gestellt: Dort hatte sich der Kläger im Frühjahr 2013 bei der Beklagten um eine Ausbildungsstelle als Einzelhandelskaufmannbeworben und einen Ausbildungsvertrag zum 1. August erhalten. Zur Überbrückung schlossen die Parteien einen „Praktikantenvertrag“ bis zum 31. Juli. Die Beklagte kündigte das Ausbildungsverhältnis mit Schreiben vom 29. Oktober zum gleichen Tag. Bereits die Vorinstanzen (u.a. LAG Hamm, Urteil v. 30.7.2014 – 3 Sa 523/14) hatten die Klage abgewiesen. Das BAG folgte dieser Auffassung und bestätigte, dass die Praktikumszeit nicht anzurechnen sei. Dies gelte auch, so das BAG unter Hinweis auf die Entscheidung vom 16.12.2004 (6 AZR 127/04), wenn es sich nicht um ein Praktikum, sondern um ein Arbeitsverhältnis gehandelt hätte.
Das BAG argumentiert dabei nahe am Gesetzestext: § 20 BBiG sehe eine Anrechnung von Zeiten, in denen zwischen dem Ausbilder und dem Auszubildenden bereits ein anderes Vertragsverhältnis bestand, nicht vor, sondern knüpfe ausschließlich an den rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses an. Dies entspreche der unterschiedlichen Pflichtenbindung in einem Berufsausbildungsverhältnis im Vergleich zu einem Arbeitsverhältnis oder einem anderen Vertragsverhältnis iSd § 26 BBiG, z.B. einem Praktikum. Folglich sei die in einem vorausgegangenen Praktikum zurückgelegte Zeit nicht auf die Probezeit in einem folgenden Berufsausbildungsverhältnis anzurechnen. Auf Inhalt und Zielsetzung des Praktikums komme es dabei nicht an.
3. Praxistipp
Mit dieser Entscheidung schafft das BAG eine nicht ganz unwesentliche Möglichkeit für Ausbilder, sich über die Fähigkeiten eines Auszubildenden über einen längeren Zeitraum zu vergewissern. Denn in Kombination mit der Entscheidung aus dem Jahr 2004 kommt es nicht darauf an, ob es sich bei dem vorgeschalteten Praktikum um ein Praktikum iSv § 26 BBiG oder entgegen der vertraglichen Bezeichnung als Praktikum tatsächlich um ein Arbeitsverhältnis handelt, eine Anrechnung findet nicht statt. Ausufernden Praktikumsverhältnissen begegnet immerhin das MiLOG.